Übung 14: Übersetzung        [Zurück zur Frühneuhochdeutsch-Seite]

(Übersetzt wird wiederum der gesamte Text, damit Sie kontrollieren können, ob Ihr Verständnis adäquat war; der Text, den Sie übersetzen sollten, ist wiederum fett markiert.)

Die [heiligen drei] Könige opferten Myrrhe, Weihrauch und Gold. Nun betrachte erstens die Myrrhe: Sie ist bitter und bedeutet die Bitterkeit, die dazugehört, damit der Mensch Gott finde. Wenn der Mensch nun anfängt, sich von der Welt ab- und zu Gott hinzuwenden: Bevor er alle Lust und Befriedigung ausgetrieben hat (denn dies ist notwendig, dass alles hinaus muss, was der Mensch im lüsternen Zustand besessen hat), ist es ihm zu Anfang gar bitter und sauer. Alle Dinge müssen dir so bitter werden, wie [groß] die Lust war. Das muss immer sein. Dazu gehört große Vernunft und fleißige Anstrengung. Wenn die Lust groß war, ebenso bitter wird auch die Myrrhe, und eine bittere Bitterkeit. – Nun könnte man sagen: Wie kann der Mensch ohne Befriedigung sein, solange er in der Zeit ist? Mich hungert, ich esse; mich dürstet, ich trinke; ich bin müde, ich schlafe; mich friert, ich wärme mich. Fürwahr, das kann mitnichten geschehen, dass mir das bitter sein sollte oder ohne Befriedigung der Natur; das kann ich niemals fertigbringen, solange die Natur Natur ist. Aber diese Befriedigung wird nicht eingehen und keinen Bestand in der Innigkeit haben. Sie wird in eins hinfließen mit den Werken und im Nicht-Sein nicht bleiben. Sie wird nicht [neue] Lust hervorrufen, sondern dahinfließen. Damit man nicht darauf raste mit Genügen, das du in dir findest an der Welt und an den Geschöpfen, mussst du die Schöpfung zusammen mit der Natur töten und überwinden. Ja, sogar die Befriedigung, die du bei den Gottesfreunden und bei den guten Menschen findest, und alles, dem du dich zugeneigt findest, das must du alles überwinden. Denn bis nicht Herodes und all sein Gesinde, die des Kindleins Seele suchen, in dir ganz wahrhaftig und gewisslich tot sind, solange betrüge dich nicht selbst; sieh vielmehr ganz recht, wie es mit dir steht und wie unfrei du bist. – Dann gibt es noch eine andere Myrrhe, welche die erste übertrifft: Das ist die Myrrhe, die Gott gibt, es sei welches Leid auch immer, inwendig oder auswendig. Ach, könntest du doch die Myrrhe aus dem Grunde der Liebe aufnehmen, wo auch immer Gott sie gibt: Welch eine Wonne würde im Menschen hervorgebracht, welche Freude auch und welcher Friede! Welch edle Sache das wäre! Ja, das geringste und das größte Leid, das Gott immer auf dich fallen lässt, das geht hier aus dem Grund seiner unaussprechlichen Liebe hervor, und zwar so großer Liebe, wie es die höchste und beste Gabe ist, die er dir geben könnte oder jemals gab. Kannst du sie anders wahrnehmen [gemeint wohl: Kannst du sie ohne den bildlichen Vergleich begreifen], wäre sie dir nützlicher. Ja, alles Leid, das allerkleinste Haar, das je von deinem Haupt fiel, ohne dass du darauf achtetest: Ein Haar soll nicht ungezählt bleiben. Ja, es kann kein noch so geringes Leid auf dich fallen, das Gott nicht vor Ewigkeit angesehen und geliebt und beabsichtigt hätte, und so fällt es auf dich. Beispielsweise tut dir dein Finger oder dein Kopf weh, du frierst an den Füßen, dich hungert oder dürstet, man betrübt dich mit Worten oder Taten, oder was dir immer widerfahren mag, wodurch du Not hast oder leidest: Das alles bereitet dich zu dem edlen, wonnevollen Seinszustand, und alles ist von Gott so gedacht und angeordnet, dass dir das so widerfahren und zuteil werden soll. Denn es ist gemessen, gewogen und gezählt und kann nicht geringer oder anders sein.

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