Übung 9: Übersetzung        [Zurück zur Frühneuhochdeutsch-Seite]

Ein Königreich hieß Thessalien in dem Land Rumänien. Die Leute in diesem Land hießen Mirmidonen; von ihnen wird in der Sankt-Matthäus-Legende berichtet. Dasselbe Land nennt man heute Abruzz. Damals lebte in demselben Land ein edler und mächtiger König namens Peleus, und seine Frau hieß Thetida. Von diesen beiden wurde der stärkste und tollkühnste aller Menschen, Achilles, gezeugt, der vor der Stadt Troja große Mannestaten beging. In demselben Land Abruzz liegt die Stadt Theti, die ihren Namen von der Königin Thetida hat. Derselbe König Peleus hatte einen Bruder namens Eson. Dieser war älter als er und war nun so alt geworden, dass er sich vor Altersschwäche nicht mehr rühren konnte und die Augen ihm versagten, so dass er nicht mehr zum König taugte und auf das Zepter des Reichs Thessalien verzichtete und seinem Bruder Peleus überließ. Derselbe König Eson hatte einen Sohn namens Jason, der war ein ansehnlicher, wohlgemuter Jüngling und bildete sich in allen Belangen nach den Regeln mannhafter Ritterschaft und jeglicher Erziehung aus. Die antiken Dichter berichten auch, als der König Eson solcherart zu einem so hohen Alter kam und ihm alle seine Kraft solchermaßen naturgemäß abhanden kam, dass ihm Medea, von der hernach viel erzählt werden wird, mit ihrer Zauberkunst wieder zu vollkommener Jugend verhalf, was doch nach dem Lauf der Natur, unserem Glauben zufolge, nicht möglich ist. Nun wurde derselbe Jason erwachsen und war ein vollkommener Ritter, der sich in allem, was er tat, mit jeglicher Männlichkeit, Klugheit, Großzügigkeit und allen anderen Tugenden artig zu verhalten wusste, so dass er von allen Fürsten, Herren, Rittern und Knechten und auch von allem Volk desselben Landes seiner vortrefflichen Tugend wegen nicht minder geliebt wurde als der König Peleus selbst. Auch war dieser Jason dem König in allen Dingen gehorsam, und es machte ihm nichts aus, dass sein Vater die Herrschaft aus der Hand gegeben hatte. Aber trotz solcher rechtschaffener Verwandtentreue liebte ihn der König nicht. Äußerlich bezeigte er ihm jederzeit große Zuneigung, aber heimlich trug er große Feindseligkeit gegen ihn im Herzen, denn er fürchtete, dass ihm aufgrund seiner Tugend und Vortrefflichkeit das Volk des Landes zu große Ergebenheit entgegenbringen und dass er leicht ihm zuletzt die Herrschaft entreißen und sich des Landes und der Herrschaft selbst bemächtigen könne. Dies bewegte der König Peleus gar heimlich in seinem Herzen und ließ es niemanden wissen und dachte oft darüber nach, wie er im Verborgenen etwas ersänne, dass Jason das Leben verliere und man es ihm nicht anlasten könne. Zuletzt dachte er sich eine große Heimtücke aus, mit der er Jason ums Leben bringen wollte. Es wurde damals auf der ganzen Welt allgemein erzählt, dass es jenseits des Königreichs Troja gegen Sonnenaufgang eine Insel im Meer gebe, die Kolchos heiße, und da regiere ein König namens Oetes, der sei ein kluger, weiser alter Herrscher und überaus reich und besäße einen Widder, der habe ein goldenes Fell. Nun berichtet diese Geschichte, dass dieser Widder sehr wundersam und sogar durch den Schutz des Gottes Mars mit Zauberkräften behütet worden sei. Mit Zauberkunst waren zu seiner Bewachung Ochsen eingesetzt, die spien aus ihrem Maul feurige Flammen, und wer das goldene Fell haben wollte, der musste mit den Ochsen kämpfen, und wenn er sie besiegte, musste er sie dahin bringen, dass er mit ihnen das Feld bestellen konnte. Danach musste er mit einem großen Drachen kämpfen, der aus seinem Maul übelriechende feurige Flammen spie, mit denen er manchen Mann getötet hatte. Wenn er diesen besiegte, musste er ihm die Zähne ausschlagen, sodann die Ochsen nehmen, die er, wie beschrieben, gezähmt hatte, und musste mit ihnen das Feld bestellen und musste dann die Zähne in das Erdreich säen. Daraus erwuchs sogleich wunderliche Frucht, denn es wurden sogleich viele wohlbewaffnete Ritter daraus, die begannen dann einen Bruderkrieg untereinander und schlugen einander alle tot. Solche wundersamen Dinge musste einer bestehen, der das goldene Fell gewinnen wollte. Man schreibt zudem von demselben König Oetes, dass er einen großen Schatz von Silber und Gold mit solchen Zauberkünsten verschlossen hätte, und davon wurde in vielen Ländern dieser Welt erzählt, denn die Habgier war damals so groß wie heute, als etlicher stolzer Mann sein Leben verlor, weil er meinte, er könne den Schatz mannhaft erstreiten.
    Als nun der König Peleus diese Geschichte von dem goldenen Fell hörte, da dachte er bei sich, dass Jason auf diese Weise leicht dem Tod anheim gegeben werden könne, und er überlegte, wie er Jason überreden könne, sich der Angelegenheit zu unterziehen.

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