Übung 7: Übersetzung        [Zurück zur Frühneuhochdeutsch-Seite]

Da dem Ausspruch des Horaz zufolge diejenigen Schriften billig als die besten und auch vielfach als die angenehmsten erachtet werden, die dem Leser zugleich Nutzen und Vergnügen oder Kurzweil bringen, soll unbestritten dasjenige Gedicht oder Buch des allergelehrtesten, sinnreichsten und beredtesten Dichters Homer allen anderen vorgezogen und mehr als alle anderen aufs höchste gelobt, geliebt und gelesen werden, in dem der Fürst und Vater aller Dichter die Meerfahrt des geduldigsten und vielgeprüftesten Helden Ulysses so kunstgerecht, ordnungsgemäß und zierlich beschreibt, dass für jeden Menschen auf der Welt aus allen weltlichen Büchern zu Anreiz und Liebe der Tugend, zur Erfahrung vieler Dinge und auch zur Anleitung der Vernunft auf jede Art philosophische Reflexion meines Erachtens nicht leicht etwas Fruchtbareres, auch zur Vertreibung der Langeweile oder des Trübsinns Lieblicheres oder besser Geeignetes existieren, gefunden, geschrieben, gelesen und erdacht werden kann als eben die unvergleichlichen Bücher Homers, in denen (wie Cicero bezeugt) alle Länder, Gegenden, Stätten, aller Dinge Bildnis, aller Krieg, alle Schlachten, Schiffahrten, ja auch Eigenschaft, Natur und Art nicht allein der Menschen, sondern ebenso auch der unvernünftigen Tiere so trefflich abgebildet sind, dass wahrheitsgemäß behauptet wird, der blinde Homer habe alle Dinge gesehen. Zudem stimmen die Hochweisen und Gelehrten darin überein, dass Homers Text ein Lob der Tugend sei, ein klarer rechter Spiegel des menschlichen Lebens, in dem jeder, hohen oder niederen Standes, dasjenige, was für ihn ehrenvoll, nützlich, ziemlich oder unziemlich, nacheiferns- oder vermeidenswert, zu tun oder zu lassen sei, leicht erkennen kann; und insbesondere wird unter dem Namen und der Person des Ulysses das vorzüglichste Portrait eines weisen Mannes vorgespiegelt, der nicht aus eigener Tollkühnheit, Vorwitzigkeit oder Vermessenheit um Raubes oder zeitlichen Reichtums willen sich mutwillig in augenscheinliche Gefahr für Leib und Leben wirft, sondern der zuvor geziemliche Mittel und Wege, ja sogar unter dem Anschein, er sei irrsinnig geworden, eine Ausflucht sucht, dass er von dem Heerzug verschont und des Raubens, Brennens, Verheerens, blutrünstigen Wütens und anderer unzähliger Übel, die dem Krieg ohne Maß zuhauf nachfolgen, nicht teilhaftig würde, sondern friedlich bei seiner Gemahlin und seinem geliebten Kind bleiben könne.

 

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