Übung 1: Übersetzung des Textes        [Zurück zur Frühneuhochdeutsch-Seite]

  Ich kam einmal zu einer Versammlung,
da hörte ich Klage und Gegenklage
von Tieren und Geschöpfen,
   die eines dem anderen kundtat.
Da sprach das Ross: Es widerfährt mir schweres Leid
– darüber muss ich beständig trauern –
   von Fiedlern und Geigern.
Die berauben mich an meinem Schwanz;
damit treiben sie ihren Firlefanz.
Das kann ich nicht verhindern.

  Dieses Haar in meinem Schweif
besudeln sie mit Pech und Harz.
Auf den Därmen toter Schafe
  Schrammeln sie damit quer
einmal hin, dann wieder her.
Davor gibt es keinen Schutz.
  Da antwortete ihm das Schaf:
Ich hätte mehr Not zu klagen als du:
Mir trachten sie nach meinem Leben
Mit manchem hinterhältigen Trick.

  Meine Därme ziehen sie mir aus dem Bauch
und nutzen sie zu schimpflicher Verrichtung.
Über den hohlen Brettern
  sind sie zerdehnt und gespannt
Damit wird mancher fröhliche Unfug
von Übermütigen getrieben,
  von Lautenschlägern und -spielern.
Da ruft die Gans: Gag-gug-gag!
Ei, das betrifft auch meine Klage,
weil ich vor solchen Stümpern

  Auch niemals in Sicherheit sein kann.
Wo sie mich antreffen können,
da werfen sie mich zu Boden
  und berauben mich mit heimtückischer Fallenstellerei:
An meinen Flügeln reißen sie mir
mein armes Gefieder aus.
  Und machen daraus Kiele.
Auf jenen Kadaverdärmen
rasseln sie hin und her; so
treiben sie ihr Gaukelspiel.

  Da sprachen das Rohr und die Pfeife: Seht
auch unser Ungemach und unsere Schmach;
hört, wie sie in uns hineinbeißen,
  mit Grimassenschneiden, Gesichterziehen und Herumkauen
zwischen den scharfen Zähnen, so
als ob sie uns zerreißen wollten.
  Sehr viel Geifer und Schneuzen
lassen sie scheußlich durch uns hindurch, ja,
höchst lästig
umsabbern und berotzen sie uns.

  Die Drommete sprach: Ich klage dasselbe an;
dies ist auch beinahe mein Fall.
Schrecklich lassen sie mich erschallen.
  Ich könnte zerreißen von dem Grimm.
Von solch schrecklicher Stimme
kam oft Jammer und Qual
  und unbändiges Klagen.
Arme Bauern und Schindmähren,
Ziegen, Kälber, Esel und Maultiere
jagen sie grausig mit mir.

  Hört auch meinen Kummer, sprach die Leier.
Ich habe gar selten Rast oder Feier.
Tagsüber
  werde ich von unkundigen Weibern aus-
getragen, umher von Haus zu Haus;
davon wird mein armer Kragen
  Gewürgt und verdreht,
als ob ich eine feiste Gans wäre,
der man ihre Gurgel zerdehnte
und sie am Feuer briete.

  Denn alle Dinge auf dieser Erde
haben sich völlig verkehrt.
Das Hintere geht nun voran,
  und das Vordere geht hintan
und muss schmachvoll
hinter der Tür bleiben.
  Darum darfst du dich nicht wundern,
meine liebe Schwester, über solche Schmach,
denn Zucht, Feinsinn, Ehre, Kunst – oweh! –
sieht man nicht mehr in Erscheinung treten.

 

[Zurück zur Frühneuhochdeutsch-Seite]